Alternative Gravitationstheorien

Von Vasiliki Karanasou, Doktorandin, Labor für Theoretische Physik, Universität Tartu

Wir alle erinnern uns an die Schulgeschichte über Newton, der angeblich entspannt unter einem Apfelbaum saß, als ihm ein Apfel auf den Kopf fiel – woraufhin er das Gravitationsgesetz entdeckte. Vielleicht lief es nicht ganz genau so ab, doch laut Newton ist die Schwerkraft eine Kraft, die ein Körper auf einen anderen ausübt und dadurch eine Anziehung zwischen ihnen verursacht. Diese Kraft ist dafür verantwortlich, dass Äpfel vom Baum fallen, Menschen auf dem Boden bleiben und Planeten die Sonne umkreisen. Newtons Theorie beschrieb unsere Welt sehr effektiv – oder etwa nicht?

Zeichnung von Newton unter einem Apfelbaum, wie er das Gravitationsgesetz entdeckt. (Quelle: Freepik)

Obwohl die newtonsche Gravitation viele Phänomene im Makrokosmos erklärt, deutete ein frühes Problem bereits darauf hin, dass sie unvollständig ist: Sie kann die Umlaufbahn des Merkurs um die Sonne nicht exakt beschreiben. Wenn wir Phänomene betrachten, bei denen sich Objekte mit nahezu Lichtgeschwindigkeit bewegen, versagt die newtonsche Theorie vollständig. Im Jahr 1915 formulierte Einstein eine neue Theorie: die Allgemeine Relativitätstheorie, die unsere Vorstellung von Raum, Zeit und Gravitation grundlegend veränderte.

Der Raum ist nicht länger eine passive Bühne, auf der Ereignisse geschehen, während die Zeit gleichmäßig verstreicht. In der Relativitätstheorie bilden Raum und Zeit eine vierdimensionale Einheit: die Raumzeit.
Man kann sich die Raumzeit wie ein gespanntes Tuch vorstellen. Legt man eine Kugel auf dieses Tuch – oder analog: Planeten, Sterne oder Galaxien in die Raumzeit – so krümmt ihre Masse das Gewebe. Je größer die Masse, desto stärker die Krümmung.

Da Objekte im Universum nicht stillstehen, rollen sie nicht einfach in Richtung schwererer Körper, sondern bewegen sich auf Umlaufbahnen um sie herum. Deshalb kreisen Planeten um Sterne. Die Schwerkraft wird also nicht mehr als Kraft verstanden, sondern als Krümmung der Raumzeit durch Masse.

Schwerkraft ist Geometrie.
Aber welche Geometrie? Man denkt sofort an die euklidische Geometrie, die wir in der Schule gelernt haben: Die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten auf einer Ebene ist eine gerade Linie. Doch was passiert, wenn die Raumzeit nicht flach, sondern gekrümmt ist?
Stell dir die Erde vor und eine Reise von Estland nach Argentinien. Selbst die kürzeste Strecke verläuft nicht geradlinig, sondern gebogen – wegen der Kugelgestalt der Erde. Die Geometrie, die Einstein für die Raumzeit vorschlug, nennt man Riemannsche Geometrie.

Auch wenn die Relativitätstheorie viele Phänomene erklären konnte, die Newtons Theorie nicht beschreiben konnte, scheint sie nicht die endgültige Antwort zu sein.

Beobachtungen zeigen, dass sich das Universum ausdehnt. Wenn wir das Geschehen am Nachthimmel mit bloßem Auge genau verfolgen könnten, würden wir sehen, wie sich alle anderen Galaxien gleichmäßig von unserer entfernen. Dieses Phänomen ist bislang nicht vollständig erklärt worden – verschiedene Ideen wurden vorgeschlagen.

Eine der bekanntesten ist die Existenz von Dunkler Materie und Dunkler Energie. Falls es etwas gibt, das nicht mit Licht interagiert – also für uns unsichtbar ist –, könnte das die Expansion des Universums erklären.

Ein anderer Ansatz ist, die Gravitationstheorie selbst zu modifizieren. Aber was bedeutet das?
Wie wir gesehen haben, ist Schwerkraft Geometrie. Können wir also eine andere Geometrie annehmen?

Mathematisch gesehen gibt es neben der Krümmung noch zwei weitere Eigenschaften der Raumzeit: Torsion und Nicht-Metrizität. In Einsteins Theorie ist nur die Krümmung ungleich null – die beiden anderen Größen gelten als null.
Wenn wir jedoch annehmen, dass alle drei – oder wenigstens zwei – dieser Größen existieren, verändert sich die Geometrie der Raumzeit, und die Theorie der Gravitation ist ebenfalls eine andere.

Das folgende Diagramm zeigt, was mit einem Vektor passiert, wenn er separat unter Krümmung, Torsion oder Nicht-Metrizität parallel verschoben wird – also ohne dass wir ihn aktiv verändern.

Könnte also eine alternative Gravitationstheorie die finale Antwort sein?
Auch wenn eine solche Theorie die Ausdehnung des Universums erklären könnte, gibt es noch viele andere Phänomene, die berücksichtigt werden müssen.

Tatsächlich wurden bereits viele alternative Gravitationstheorien formuliert. Einige wurden aufgrund experimenteller Daten verworfen, andere können bestimmte Phänomene erklären, aber versagen bei anderen – und keine sticht als besonders plausibel hervor.

Vielleicht ist keine dieser Theorien korrekt, weil uns noch ein fundamentales Puzzlestück fehlt. Vielleicht brauchen wir einen radikalen Wandel in unserem Verständnis von Gravitation. Vielleicht brauchen wir eine neue Relativitätstheorie.

Die Krümmung der Raumzeit. Je größer die Masse eines Körpers, desto stärker krümmt er das Raum-Zeit-Kontinuum. (Quelle: ESA–C. Carreau)
Im ersten Fall wird ein Vektor parallel in einer Geometrie mit Krümmung verschoben. Dadurch ändert sich die Richtung des Vektors.
Im zweiten Fall werden zwei Vektoren parallel in einer Geometrie mit Torsion verschoben. Das Ergebnis ist, dass das erwartete Parallelogramm sich nicht „schließt“.
Im dritten Fall wird ein Vektor parallel in einer Geometrie mit Nicht-Metrizität verschoben. Das Ergebnis ist, dass sich die Länge des Vektors verändert.

Quellen:

  1. https://en.wikipedia.org/wiki/Newton%27s_law_of_universal_gravitation
  2. https://en.wikipedia.org/wiki/General_relativity
  3. E. Albert, “Kosmologische Betrachtungen zur allgemeinen Relativitätstheorie”, Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften: 142 (1917)
  4. Supernova Search Team Collaboration, A. G. Riess et al., “Observational evidence from supernovae for an accelerating universe and a cosmological constant,” Astron. J. 116 (1998) 1009–1038
  5. E. J. Copeland, M. Sami, and S. Tsujikawa, “Dynamics of dark energy,” Int. J. Mod. Phys. D 15 (2006) 1753–1936
  6. J. Beltrán Jiménez, L. Heisenberg, and T. S. Koivisto, “The Geometrical Trinity of Gravity,” Universe 5 (2019) no. 7, 173